EM-Fieber

Die deutsche Mannschaft kann sich für die drei Siege bei mir bedanken. Erstmal, herzlichen Glückwunsch, Jungs, schön gespielt und so, ABER, was ihr vielleicht nicht wisst:

Der Vorrunden-Triple kam ausschließlich deshalb zusammen, weil folgende Faktoren zusammentrafen:

1. Der Chirurgenwelpe hatte an JEDEM Spieltag der Nationalmannschaft Dienst.

2. Niemals durfte das erste Tor der Partie durch den Chirurgenwelpen gesehen werden.

3. Beim Abpfiff durfte der Chirurgenwelpe gucken.

4. (und das ist besonders wichtig im Hinblick auf die folgenden Spiele!) Unmittelbar nach Abpfiff musste der Chirurgenwelpe wieder arbeiten.*

Hab ich gerne gemacht, für die Nationalmannschaft.
Ansonsten verfolge ich die Spiele ein bisschen im gar nicht so kompetenzfreien EM-Tagebuch hier. Voll schön auch das Gedicht um Béla Réthys Garten. Das dürft ihr nicht verpassen.

* Das ist so klassisch, man glaubt es kaum. Während des Spiels passiert nichts. Die einzigen Gestalten im Wartezimmer der Rettungsstelle sind Patienten, die wegen des großen Fernsehers lieber dort als im Zimmer schauen wollen. Rudelgucken, sozusagen. Die organisieren sich ihre Pizza und sind froh. Diese Strauchballen aus Westernfilmen wehen über die Flure. Stille. Evtl. Jubel.
Sollte man lonesome Retter und draußen unterwegs sein, das gleiche Bild. Man fährt vielleicht noch den einen Einsatz zu Ende, der eine halbe Stunde vor Anpfiff reinkam. Dann zurück auf die Wache. Fußball gucken. Mit den anderen. Ruhe.
Die Schwestern in der Klinik ziehen sich in den Aufenthaltsraum zurück, sie haben ihre Runde heute ein wenig früher gemacht. Ruhe.

Bis zwei Minuten nach Abpfiff alle Melder im Raum fast zeitgleich anspringen. Feuerwehr, RTW, KTW, NEF, alle. Bis die Rettungsstelle zwei Minuten nach Abpfiff von einer Welle neuer Patienten regelrecht heimgesucht wird, die sich am Tresen drängeln. Bis in allen Patientenzimmern zwei Minuten nach Abpfiff die roten Lämpchen an den Türen angehen.

Nur kurz hat der Klinik-Wahnsinn die Luft angehalten. War ja schließlich Fußball.

Von der Liebe

Ich war mit dem NEF unterwegs. Meldebild: „Person nicht ansprechbar“. Das kann ja gerne alles sein. Von „hat nix“ bis „reanimationspflichtig“, alles schon dagewesen. Ich störe mich ja grundsätzlich an diesem „ansprechbar“. Was bedeutet das bitte? Ich kann auch eine Stuhllehne ansprechen. Ein Felsklotz ist auch ansprechbar. Die Frage ist ja eigentlich nach der Reaktion auf dieses Ansprechen. Gibt es die? Und wenn ja, ist sie adäquat?

Aber ich schweife ab. Wir sind also auf dem Weg zu dieser nicht ansprechbaren Person. In eine Stadtgegend, die wohl, als dieser Häuserblock in den 60ern gebaut wurde, ganz schön gewesen sein muss. Mittlerweile aber ziemlich verlottert, hoher Anteil an Arbeitslosigkeit und Gewalt. Man rollt also schon ein bisschen mit den Augen, wenn es in diese Richtung geht. Wir sind da. Vierter Stock, Aufzug kaputt, war ja klar. Also zu Fuß. Der Rettungswagen trifft zeitgleich mit uns ein, gemeinsam schlörren wir also die Ausrüstung nach oben.

In der Wohnungstür erwartet uns ein hutzeliger Opi mit wässrigen Augen, die einmal beeindruckend blau gewesen sein müssen. Wir folgen ihm auf seine Aufforderung hin ins Schlafzimmer. Liebevoll eingerichtete, gut gepflegte Wohnung. Mit Oma-und Opa-Details, bei denen ich ein bisschen Heimweh nach glückseligen Kindheitstagen bekomme.

Unsere Patientin liegt im Bett. Wach. Ansprechbar. Mit adäquater Reaktion auf Ansprache. Während die Jungs das Standard- Monitoring anbringen, frage ich, was los ist. Letztlich bleibt es schwammig. Die Dame hatte bis vor einigen Tagen einen Infekt der oberen Atemwege, fühlt sich schlapp, kam heute nicht so recht aus dem Bett, irgendwie wollen die 87jährigen Knochen nicht so wie sonst. Getrunken hat sie auch nicht so viel in den letzten Tagen, und es ist ziemlich warm. Im EKG zeigt sich ein Vorhoffflimmern. Auf Nachfrage ist sich Frau Müller nicht sicher, ob dieses bekannt sei. „Heinzi…“ sagt sie. „Heinzi, hol doch mal den Brief vom Dokter. Der ist in der schwarzen Schublade, du weißt schon!“ Ihr Ehemann setzt sich langsam in Bewegung. Das Laufen fällt ihm schwer, auch er ist weit über 80 Jahre alt. Schließlich ruft er aus dem Nebenzimmer, dass er den Brief nicht findet. Frau Müller verdreht milde lächelnd in meine Richtung die Augen. „Die Männer immer… total hilflos ohne uns!“ Dann erteilt sie ihrem Heinzi so lange Anweisungen, bis er den gewünschten Brief heranbringt. Nichts bekannt von Herzrhythmusstörungen. Es hilft nichts, wir müssen Frau Müller mit ins Krankenhaus nehmen.

Behutsam setzen wir sie auf den Tragestuhl. Ihr Ehemann folgt uns. An der Wohnungstür läuft eine einzelne Träne seine Wange hinunter. Er wischt sie nicht weg. „Wissen Sie, wir sind jetzt seit 63 Jahren verheiratet!“ Dann wendet er sich zu seiner Elsa. „Pass auf Dich auf, mein Mädchen… Und komm bald wieder!“

Urplötzlich habe ich was im Auge. In beiden Augen. Aber nur kurz. Dann geht es schon wieder. Elsa ist ganz pragmatisch. Sie streicht ihrem Heinz über die Wange: „Pass Du bloß auf Dich auf, hier so ganz alleine! Ruf die Kinder an!“

Wir ziehen los.

Lernen, Lernen, Popernen

Am Wochenende war ich mal wieder auf dem NEF unterwegs. Wie immer gab es Heiteres, Aufregendes, Spannendes, Schönes und Trauriges. Einiges findet sich vielleicht in diesem Blog wieder, wenn ein bisschen Zeit vergangen ist.

Dieses Mal hatte ich aber einen Praktikanten dabei. Also einen Kollegen, der seine Fahrten sammelt, damit er selber Notarzt werden kann. Bei uns muss man (zusätzlich zu anderen Anforderungen, selbstverständlich), um die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin zu erwerben und sich damit selber für das schnelle Auto mit dem Blaulicht zu qualifizieren, 50 Einsätze mit einem erfahrenen Notarzt (in diesem Falle also ich, hüstel) mitfahren. Der Praktikant war ein sehr netter, motivierter junger Kollege. Hat Spaß gemacht. Und hat mir gezeigt, wieviel ich in den letzten 1,5 Jahren dann doch irgendwie gelernt habe.

Als der Melder -stilecht beim Frühstück- zum ersten Mal gerappelt hat („V.a. auf Apoplex“), ist der Junge wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen und saß schon im Auto, bevor ich überhaupt den Impuls „Aufstehen“ an meine müden Glieder gegeben hatte. Ziemlich blass um die Nase war er, der Gute. Ich habe ihn dann machen lassen -hat er gut gemacht- und das Ganze wohlwollend aus dem Hintergrund beobachtet. Und habe mich, während er mit roten Bäckchen um den Patienten herumgesprungen ist, so sehr an meine Anfänge erinnert gefühlt.

Damals… als ich noch klein war. Mein erster Notarztdienst ganz alleine dauerte 12 Stunden. Von 1/2 8 bis 19:30 Uhr. Mann, war ich AUFGEREGT! Ich habe selbstredend die ganze Nacht davor nicht geschlafen. Morgens um 6 war ich gestriegelt und gespornt in meinen nagelneuen Notarztklamotten und den bis dahin ungetragenen Haix Airpower X1. Eine liebe Freundin hat mich zur Wache gefahren. Meine Herzfrequenz lag bei etwa 300 bpm. Es gibt ein Foto von diesem denkwürdigen Morgen, und ich gucke original wie ein Reh im Fernlicht, kurz bevor es vom Auto erfasst wird. Eine Mischung aus Panik, Resignation und noch ein bisschen Panik. Und NOCH ein bisschen Panik.

Da stand ich dann also, an der Rettungswache. Vor dem NEF. Vor MEINEM Notarzt-Einsatz-Fahrzeug. Argh.

Die nächsten vier Stunden hatte ich ganz entspannt Zeit, mich weiter reinzusteigern in meine Angst, denn WIR HATTEN KEINEN EINSATZ. ARGH. Ich wollte es irgendwann einfach hinter mir haben. Ich wollte zum ersten Mal den Melder quittieren, mich ins Auto setzen und zur Einsatzstelle gefahren werden. Naja. Das dauerte. Stattdessen holte mich die Müdigkeit ein und ich nickte immer wieder auf dem Sofa weg. Aber nur kurz, dann flammte dieser EINE Gedanke wieder auf. Ich bin DER NOTARZT. Wenn jetzt da draußen irgendwas passiert, dann werde ICH angerufen. Dabei kann ich doch GAR NIX!!! Und zapp, war ich hellwach und der Puls ging wieder durch die Decke.

Naja. Und so weiter. Letzlich habe ich überlebt, meine Patienten auch, und alles wurde gut.

Versteht das nicht falsch: Ich bin nicht gleichgültig geworden. Eine gewisse Grundspannung ist  immer noch vorhanden, wenn ich mit dem NEF unterwegs bin. Und ich hoffe die bleibt auch. Ich lerne viel, immer noch, immer wieder. Und natürlich bin ich immer mal wieder immer noch SEHR aufgeregt (siehe ein paar Posts weiter unten). Aber was ich mittlerweile kann, ist, mich zwischendurch zu entspannen. Und mir selber zu vertrauen. Das ist eine ganze Menge wert.

Letztlich ist es eigentlich wie immer, wenn man irgendetwas lernt. Beim ersten Mal ist es noch ganz aufregend und besonders und wild, und irgendwann macht man es einfach. Ob es jetzt ums Viggo-Legen geht, ums Notarzt-Fahren, um den ersten Arbeitstag, das erste Date oder ums Autofahren. Man muss nur „das erste Mal“ überstehen, dann klappt das schon. Und irgendwann ertappt man sich dann dabei, dass man Dinge, über die man vorher ewig gegrübelt hat, selbstverständlich tut. Und gar nicht darüber nachdenkt. Bam.

 

Und eure „ersten Male“ so? Erzählt mal!

P.S.:… Ich bin gespannt, was da wieder für Suchanfragen eintrudeln werden bei dem Stichwort 😉

Blogroll

So Kinder,

Wie angekündigt habe ich nun, anlässlich der Rückkehr unserer Lieblingschaosheldin, meine Blogroll mal überarbeitet.

Der Krangewarefahrer fährt entweder kranke Ware, oder einen merkwürdig geschriebenen Krankenwagen oder ich weiß doch auch nicht. Auf jeden Fall schön!

Der Rettungslehrling wird Rettungsassistent und wird uns an diesem Weg teilhaben lassen. Man ist gespannt und freut sich auf reichlich Geschichten. Er hat sein Blog gerade erst angefangen, nicht so wie die anderen beiden, die ich noch verlinkt habe. Die sind nämlich wahrlich Blogger-Urgesteine und haben wahrscheinlich schon gebloggt, als ich Steto Stheeto Schtätos ‚Hörrohr für Ärzte‘ noch nicht mal buchstabieren konnte.

Bei Anke Gröner geht es um gutes Essen, gute Musik, gute Bücher und Fußball. Interessante Mischung, immer schön zu lesen, manchmal nachdenklich stimmend, manchmal belastend, wenn sie es mit ihren Schnucki-Lobpreisungen (Mario Gomez!!) übertreibt. Trotzdem uneingeschränkte Leseempfehlung.

Die liebe Nessy bloggt wirklich bezaubernd über einen Alltag zwischen wilder Familie, Ghettonetto und Nachbarn mit Migrationshintergründen. Wunderbar zu lesen!

Eigentlich sind die zwei jetzt nur in meiner Blogroll damit ich da schneller hinkomme, ich geh mal davon aus dass ihr die eh schon kennt, gelle?

Sonst nix Neues, hab noch Urlaub. Und gestern gerafft, dass ich tatsächlich am Rosenmontag NEF-Dienst habe. Das kann ja heiter werden. Werde im Zweifelsfall einfach so tun, als sei ich als Notarzt verkleidet, und fleißig trinken. Helau und Alaaf. Mist.

Neues vom NEF/2

Ich hab ja das neue Jahr mit einem lecker NEF-Dienst eingeläutet.

Bilanz:

24 h, 16 Einsätze.

Male, die ich mich ein bisschen über die Leitstelle aufgeregt habe: 3

Male, die ich die Leitstelle aufs stärkste verwünscht habe: 1 (nachts, halb 5, sinnfrei)

Male, die ich über den schlechten Witz meines Fahrers gelacht habe: 16 („oh ha, Verdacht auf Einsatzstelle“)

Male, die ich vom Melder aufgewacht bin: 3,5 (3x Nachts, 0,5x Nickerchen)

Male, die wir bei McDo ungesundes Zeug konsumiert haben: 2

Male, die wir gesunde Sachen gegessen haben: 0,5 (1/2 Banane)

getrunkene Kaffees: geschätzt 7-8

gefahrene Kilometer: 214 (es lebe die Stadtrettung)

Male, die wir den Pat. nicht gefunden haben: 1

Überflüssige Alarmierungen: 3-4

Male, denen wir Pat. geholfen haben: ca. 10

Male, die wir uns mit Pat. geprügelt nicht so gut auf das Transportziel einigen konnten: 1

Male, die wir geblitzt wurden: 10

Patienten, die wir zu Hause gelassen haben: 2

Leben, die wir gerettet haben: 1? oder 2.