Vom eigenen Stil

… neinnein, ich spreche hier nicht von Kleidung oder Styling. Dieser Post wird in Jogginghose, ungeschminkt und mit zerzausten Haaren geschrieben.

Aber neulich im Op ist folgendes passiert: Ich durfte etwas operieren. Jetzt keine Riesengroße-Monster-Mehrere-Stunden-OP, aber schon was Richtiges, also auch kein Abszesschen oder Blinddärmchen oder so. Ich stand da also mit meinem Oberarzt und werkelte vor mich hin. Irgendwann kamen wir an einen recht kritischen Punkt und der Oberarzt sagt: „Jetzt schneid mal da und dann machst du *dasundas* und dann *soundso*“ Und ich habe gesagt: „Ich würde aber gerne erst *andersschneiden* und dann *soähnlichaberdochandersmachen* damit wir dann *gleichesergebnis* haben.“
Der Oberarzt hat mich kurz forschend angeguckt (der Showdown-Moment sozusagen, denkt euch dramatische Musik) und dann gesagt: „Ja, find ich gut. Mach das.“

Und ich habs gemacht und es wurde gut. Das war ein großer Moment.

Natürlich heißt das nicht, dass ich jetzt für immer alles alleine operieren kann. Ich muss immer noch viel lernen und ich brauche weiterhin jemanden, der mich an der Hand hält und mich geduldig durch neue Operationen hindurchträgt. Manchmal möchte ich auch verzweifeln ob all der Dinge, die ich noch lernen muss.

Aber diese eben geschilderte Situation war ein bisschen wie Fahrradfahren ohne Stützräder. Zwar muss der Oberarzt noch nebenherjoggen, aber auf gerader Strecke kann ich schon alleine Kurs halten. Und irgendwann klappt auch der Alpencross. Alles eine Frage des Trainings.

selektive Duzerei

In meiner Abteilung ist das sehr gemischt mit den Anreden.

Es gibt eine Oberärztin, die vor kurzem noch bei uns Assistentin war, die wird von der ganzen Assistentenrunde geduzt. Noch von früher, sozusagen. Jetzt haben wir eine neue Assistentin, und von dieser lässt sie sich siezen. Irgendwie klingt das ein bisschen krampfig, aber scheinbar möchte die Oberärztin die Respekt-Kurve kriegen, und alles, was nachkommt, wird gesiezt. Unsere Studenten siezen sie jetzt auch. Einerseits kann ich das verstehen, andererseits ist es ein bisschen merkwürdig.

Dann gibt es einen Oberarzt, der bietet selektiv einzelnen Assistenten das Du an, wobei ich dabei kein System erkennen kann. Also, er ist nicht mit „seinen“ Assistenten von seiner Station beim Du, sondern nur mit einigen. Das ist irgendwie schwierig, weil er mich siezt, und dann denk ich gleich, er hat mich nicht so lieb wie die anderen. 😦

Ein anderer, der Leitende, siezt alle Assistenten. Bis auf einen, den er aus einem anderen Haus kennt, von früher, als der eine Famulant war oder PJ´ler und er Assistent. Das ist ja dann irgendwie ok, man kann ja nich wieder aufs Siezen umsteigen nur weil man in der Hierarchie hochrutscht. Oder?

Ich finde das wird alles ein bisschen überbewertet. Ob ich jemanden duze oder sieze, sagt ja nichts über den Grad von Kompetenz aus, die ich demjenigen zutraue. Mein absoluter Lieblings-OA, mit dem ich beim Du bin und mit dem ich auch gerne mal völlig albern herumflachse genießt meinen allergrößten Respekt, und es ist keine Frage, dass er der Chef ist bei medizinischen Entscheidungen.

Eine andere, die ich sieze, find ich inkompetent, und ich hab ganz sicher nicht mehr Respekt vor ihrer Autorität, weil ich Sie zu ihr sage.

Ich finde, Autorität verschafft man sich durch Kompetenz und nicht durch Standeszickereien.

Mit dem Pflegepersonal, von Praktikantin bis Stationsleitung, bin ich konsequent beim Du. Alles andere finde ich total krampfig.

Und ich hoffe, dass, wenn ich groß bin und Oberarzt, ich es schaffe, über Kompetenz meine Autorität zu zementieren! Hugh, ich habe gesprochen!

P.S.: Wie komisch sieht bitte „duzen“ und „siezen“ geschrieben aus? Ich komm nicht klar!

 

Rechenbeispiel

Man nehme eine Intensivstation, deren Herzstück 9 motivierte Assistenzärzte darstellen, welche durch die weise Planung des leitenden Oberarztes in einem sinnigen Dreischichtsystem die Fahne der Maximalversorgermedizin und das medizinische Versorgungsniveau auf der kompetentesten aller Intensivstationen hochhalten.

Man schicke drei von denen gleichzeitig in Urlaub (WER HAT SICH DAS AUSGEDACHT! UND WARUM HAB ICH KEINEN URLAUB??? IMMER NUR DIE ANDEREN, MENNO!!!!).

Von den verbleibenden 6 Assistenten lasse man 2 krank das Bett hüten.

Von den verbleibenden 4 Assistenten lasse man eine so jung und unerfahren hoffnungsfroh sein, dass sie nicht alleingelassen werden kann.

Bleiben?

Richtig. 3. In Worten: Drei.

Für ein Dreischichtsystem. Da kann dann jetzt jeder auch selbst weiterrechnen, wie lang das gutgeht. Und natürlich pünktlich zum Wochenende. Klar, ich spring natürlich gerne ein. Mein viertes Wochenende in Folge, dass ich an meinem wärmenden und lärmenden Lieblingsarbeitsort verbringen durfte. Hurra.

Dafür hab ich heute frei, sozusagen. Ich muss ja erst abends antreten, zum Nachtdienst.

Den ganzen Tag Zeit für mich…

…mir ist langweilig.

Gedicht des Tages

ZVK

Spritzt helles Blut dir ins Gesicht

wars die Vene sicher nicht.

Hast du Luft in deiner Spritze

ruf schonmal nach dem Röntgen-Fritze.

der zeigt dir dann den Mantel-Pneu

und du Wicht denkst nun aufs Neu´

schön wenn ein Ober-Arzt hier wär…

denn da muss ´ne Drainage her.

Dafür muss der Patient sediert sein –

und sei gewiss: der trübt dir ein.

blöd, wer ihn nicht gleich erkennt:

ein neuer Intensiv-Patient