Vom eigenen Stil

… neinnein, ich spreche hier nicht von Kleidung oder Styling. Dieser Post wird in Jogginghose, ungeschminkt und mit zerzausten Haaren geschrieben.

Aber neulich im Op ist folgendes passiert: Ich durfte etwas operieren. Jetzt keine Riesengroße-Monster-Mehrere-Stunden-OP, aber schon was Richtiges, also auch kein Abszesschen oder Blinddärmchen oder so. Ich stand da also mit meinem Oberarzt und werkelte vor mich hin. Irgendwann kamen wir an einen recht kritischen Punkt und der Oberarzt sagt: „Jetzt schneid mal da und dann machst du *dasundas* und dann *soundso*“ Und ich habe gesagt: „Ich würde aber gerne erst *andersschneiden* und dann *soähnlichaberdochandersmachen* damit wir dann *gleichesergebnis* haben.“
Der Oberarzt hat mich kurz forschend angeguckt (der Showdown-Moment sozusagen, denkt euch dramatische Musik) und dann gesagt: „Ja, find ich gut. Mach das.“

Und ich habs gemacht und es wurde gut. Das war ein großer Moment.

Natürlich heißt das nicht, dass ich jetzt für immer alles alleine operieren kann. Ich muss immer noch viel lernen und ich brauche weiterhin jemanden, der mich an der Hand hält und mich geduldig durch neue Operationen hindurchträgt. Manchmal möchte ich auch verzweifeln ob all der Dinge, die ich noch lernen muss.

Aber diese eben geschilderte Situation war ein bisschen wie Fahrradfahren ohne Stützräder. Zwar muss der Oberarzt noch nebenherjoggen, aber auf gerader Strecke kann ich schon alleine Kurs halten. Und irgendwann klappt auch der Alpencross. Alles eine Frage des Trainings.

Flow

Der Dienst ist vorbei. Nach 26 bewegten Stunden an meinem Lieblingsarbeitsplatz parke ich das beste Auto der Welt auf halber Strecke nach Hause. Da gibt es einen Wald. Da werde ich joggen gehen. Jawohl. Hilft ja nix. Nach dem Sport fühle ich mich immer gut, vorher finde ich es immer furchtbar. Je länger ich das vor mir herschiebe, desto furchtbarer wird es, und oft genug bleibt es beim Vorsatz. Deshalb also habe ich mich diesmal kompetent selber ausgetrickst, bin aus den Klinikklamotten direkt in die Laufsachen geschlüpft und stehe jetzt hier. Musik auf die Ohren, und los gehts. Mittel motiviert trabe ich los. Ich rede mir selbst gut zu, verspreche mir, dass ich nach drei Liedern umdrehen darf, wenn ich nicht mehr mag. Dann wollen wir mal.

Ich finde gut einen Rhythmus, die Morgenluft fühlt sich wunderbar an, die Musik hat genau den richtigen Beat. Ich biege in den Wald ein, die Sonne zwischen den Blättern wirft ein wundervolles Muster. Im Wald wird es ein bisschen dunkler, und plötzlich ist die Musik aus. Akku leer oder was? Kurz will ich den MP3-Player aus meiner Tasche fummeln, aber dann fällt mir auf, das ich die Musik gerade überhaupt nicht brauche. Der Takt meiner Schritte auf dem Waldboden, der Wind, mein regelmäßiger Atem, zwitschernde Vögel, Rascheln im Laub, das alles ist mehr als genug. Mein Kopf wird ganz leer und leicht, während ich völlig ohne Anstrengung weiterlaufe.

Da ist es, dieses Gefühl. Der Flow. Es läuft einfach von alleine. Wie manchmal im OP. Wenn es plötzlich keine Worte mehr braucht. Die Instrumente schon in der Hand liegen, bevor man darum gebeten hat. Blicke reichen, um zu wissen, was der Oberarzt als nächstes tun wird. Wenn wir konzentriert in der Operation versinken und alles um uns herum ganz egal wird. Vierhändig im Situs tanzen. Und schließlich, wenn die Arbeit getan wird, uns so breit angrinsen, dass man es auch durch den Mundschutz ganz genau sieht. Uns noch am Tisch mit blutigen Handschuhen steril abklatschen. Flow-OP. Ganz großes Gefühl.

Oder beim Musikmachen. Wenn während eines Konzertes aus Chor und Orchester ein einziges Instrument wird und so viel mehr dabei herauskommt als die Summe aller Musiker. Diese Gänsehaut am ganzen Körper. Versinken in der Musik. Und dann aufpassen, dass man es nicht so schön findet, dass man seinen Einsatz verpasst. Dann ist nämlich ganz schnell Schluss mit Flow.

Nach vierzig Minuten bin ich müde, verschwitzt und glücklich zurück beim besten Auto der Welt. Jetzt aber nix wie ab nach Hause. Duschen, Frühstück, Bett. Ein schöner Tag.

Danke, Flow.

Sonntagsdienst

Merke:

Wenn ASS Sonntags alleine Tagdienst hat und bloggen kann, ist es ein ruhiger Tag. Zumindest für mich. Meine Patienten laufen weitgehend auf Autopilot, oder sind Ende der Woche operiert worden und bleiben nur aus Sicherheitsgründen übers Wochenende auf der Intensivstation… wobei Sicherheitsgründe ggf. auch heißen kann, dass die Hemmschwelle höher ist, uns nach einem Bett zu fragen, wenn im Computer unsere ganze Station belegt ist… chhrrrr. „Naja, wir behalten Sie besser noch eine Nacht hier, Frau *Hemikolektomie links am Freitag*“.

Im OP scheint es weniger ruhig zu sein, die rödeln den ganzen Vormittag schon vor sich hin. Ich hab nur ein paar Schlagworte aufgeschnappt heute morgen, aber die Kombination aus COPD, alt, dick, Raucher und „akutes Abdomen nicht näher bezeichnet aber seit 5 Stunden im OP“ hört sich so an als sollte ich vielleicht demnächst mal einen unserer Joker verlegen. Wenigstens ist noch keiner von der Anästhesie-Pflege hier vorbeigekommen um sich Arterenol zu schnorren, wenn das passiert, können wir uns meistens drauf einstellen dass sich ordentlich was zusammenbraut.

Ich glaube ich werde *privatversicherten Lehrer mit Furz quer und Blutdruck* in sein Einzelzimmer auf die Parkett-und-Teppichboden-Wohlfühlstation zurückschicken. Der nervt eh nur: „ich hatte eine fürchterliche Nacht…“ „diese Schmerzen…“ „wissen Sie, ich KANN auf dieser billigen Matratze einfach nicht liegen…“ „zu Hause habe ich ja ein Wasserbett…“

Auf gehts: Ich habe eine Aufgabe!

 

Ach, ja, fürs Protokoll:

Dinge, die heute NICHT passieren sollten, damit ich meine Sonntagslaune bewahre:

1. Polytrauma

2. Reafunk

3. Reanimation bei uns auf der Station

4. wenn der *armer Gomer der nicht sterben darf weil die Verwandten Maximaltherapie wünschen* intubationspflichtig wird RASTE ICH AUS.

Chronik einer Nacht

Ich hab auch mal mitgemacht. So wie z.B. die Kollegen hier, hier und hier. Also, eine beliebige Nacht: here we go:

20:30 – auf dem Sofa aufgewacht. Es ist Zeit. Höchste Zeit. Auf zum Nachtdienst

21:02 – so gut wie pünktlich zur Übergabe da… Kollegin rödelt noch rum… erstmal ne Runde Solitär spielen

21:08 – lief grad gut, egal, Übergabe muss sein.

21:45 – Visite beendet. Die meisten Patienten sind Selbstläufer und sollten die Nacht über auf Autopilot laufen. Sollten. Zwei Betten frei, eine OP im Orbit, aber noch nicht da. Der Spätdienst verschwindet.

21:48 – Anruf von der Rettungsstelle: Rupturiertes BAA auf dem Weg.

22:00 – BAA noch nicht da. Solitär.

22:30 – BAA immer noch nicht da. Labore gucken, Specials für morgen nachmelden.

23:10 – BAA immer noch nicht da. Anruf geträumt? Vorsichtiger Rückruf – sind im OP. Aha. Entspannung. Solitär.

23:30 – aus purer Langeweile diverse BGAs gemacht. An diversen Beatmungsgeräten gespielt. Große Medizin.

23:45 – ein EK gegeben. Läuft morgen eh ab.

00:30 – Der Patient aus dem OP erscheint. Schnell untersuchen, wird nachbeatmet, hat bereits alle möglichen maximalinvasiven Zugänge.

01:05 – Kurve für neuen Patienten geschrieben, da schon mal am Computer ein bisschen Solitär.

01:45 – ein Patient kriegt Atropin weil bradykard, ein anderer Betablocker weil tachykard. Erwäge die beiden in ein Zimmer zusammenzuschieben zwecks normfrequenter Durchschnitts-Herzfrequenz. Wäre allerdings immernoch hypotoner Durchschnitts-Blutdruck. Schmeiße eine Runde Noradrenalin.

02:00 – Essen. Gibt Kartoffelgratin mit Gemüse. Yammie.

03:00 – Gab auch noch Eis. Fressnarkose. Kurz Augen zu. Kissen besorgt, Decken besorgt. Nest unter Schreibtisch gebaut.

03:05 – kurz erwogen, die Patientin im Nachbarzimmer zu intubieren. Schnarcht zu laut, ich kann nicht schlafen.

03:25 – das BAA kommt an.

03:31 – das BAA kriegt zwei Konserven.

03:50 – das BAA kriegt ein FFP.

04:00 – BGA vom BAA schön geworden. Noch ein paar andere BGAs gemacht, da schon dabei. Bisschen Kalium verteilt, bisschen Kalzium verteilt. Laborkosmetik für Chefvisite.

04:15 – Vögeln beim Singen zugehört. Hurra, Frühling.

04:30 – Bisschen Doku, Verläufe geschrieben, Kurven geschrieben. Solitär.

04:45 – Patient beim Bluten zugeguckt. Chirurgen gerufen. EKs, Volumen, OP. Die Armen. Waren gerade erst im Bett.

05:00 – Kontrollrunde mit Blick in alle Boxen: scheint ruhig. Kalium-Perfusor gefunden, ausgestellt.

05:15 – Solitär.

06:00 – Argh! Die Piccos! Schnell gemessen, alles gut.

06:30 – Guten Morgen, liebe Kollegen, guten Morgen, Chef!

06:35 – ersten Anschiss kassiert für Begebenheiten aus dem Wochenende über die ich Nachtdienst-Unglücksrabe berichten muss.

06:55 – drei weitere Anschisse später Frühvisite überlebt.

07:00 – Höchst pünktlich Ort des Geschehens verlassen. Brötchen holen.

07:35 – Frühstück, Bett. Hurra, Vorbei. Ruhige Nacht.