Pro-Tips: heute für Angehörige:

Liebe Angehörige.

Ja, wir sind der Arzt. Wir versuchen, Ihrem erkrankten/verletzten Lieben so gut wie möglich zu helfen. Bitte unterstützen Sie uns nach Kräften. Wir wären Ihnen für Folgendes dankbar:

1.: Wenn Sie uns mit einem Brötchen im Mund, einer Kaffeetasse in der einen Hand, dem Arztzimmerschlüssel in der anderen und einem Stapel Akten unter dem Arm sehen, wie wir versuchen, die Zimmertür aufzuschließen: klopfen Sie nicht eine Minute später an die Tür. Wir wollen nur kurz was essen, während wir einen Brief diktieren. Wir sind gleich wieder für Sie da.

2.: Wir sind die mit dem Kittel. Der Arzt. Je weniger von Ihnen uns nach Blumenvasen/Kaffeetassen/neuem Tee/einem frischen Bettbezug fragen, desto mehr Zeit haben wir für unsere Arbeit, die dann ja Ihrem Liebsten zu Gute kommt.

3.: Wir haben Kernarbeitszeiten. In meinem Fall von 07:00 Uhr bis 16:00 Uhr (offiziell). Wenn Sie uns abends auf dem Gang sehen, dann haben wir entweder Dienst (und sind dann tendentiell in Zeitnot) oder sind schon viel zu lange da und wollen nach Hause. Nicht der optimale Zeitpunkt, um zu fragen, wie es denn mit Opi Günni jetzt in der letzten Woche gelaufen ist und was da jetzt in der nächsten Woche geplant ist.

4.: Apropos Dienst und optimale Zeitpunkte: Klar verstehen wir, dass Sie am Wochenende mehr Zeit haben und es endlich mal geschafft haben, Opa Günni zu besuchen. Aber eine ausführliche Auskunft können wir Ihnen dann leider in den seltensten Fällen geben. Am Wochenende kümmern wir uns alleine um all die Patienten, auch um die, die unsere Kollegen unter der Woche betreuen. Vielleicht haben wir also mit Opa Günni bislang nichts zu tun gehabt und deshalb den Plan nicht parat. Wir sind nur die Notbesetzung. Außerdem haben wir es eilig. Und selbst wenn wir gerade dasitzen und Pizza essen, lassen Sie uns doch. Wir haben schon 12 Stunden hinter uns und noch 12 vor uns.

5.: Machen Sie es so: Rufen Sie an. Sagen Sie: „ich möchte über Opa Günni sprechen. Wer ist der zuständige Arzt und wann hat der Zeit? Wann soll ich vorbeikommen?“ Und schon kommen wir zusammen.

6.: Grundsätzlich: Reden Sie mit uns. Rennen Sie nicht gleich zum Beschwerdemanagement/dem Chef und schwärzen Sie uns an. Entweder Sie haben da was falsch verstanden oder das war nicht so gemeint. Ehrlich.

7.: Wenn Sie Teil einer großen Familie sind, suchen Sie sich einen Mittler. Wir erzählen ungerne 15 Mal das Gleiche.

8.: Wenn Sie der Schwippschwager der Freundin von Opa Günnis Tante sind, dürfen wir Ihnen keine Auskunft erteilen. Und schon gar nicht am Telefon. Echt jetzt. Das dürfen wir eigentlich noch nicht mal bei den engsten Angehörigen. Aber da machen wir vielleicht schon mal eine Ausnahme.

9.: Wir sind keine Gedächtniskünstler. Tun Sie uns einen Gefallen, um Missverständnissen vorzubeugen: „Ich bin die Tochter von Herrn Günni aus Zimmer 14“ macht es uns viel leichter als: „Wie geht es meinem Papa?“. Vor allem, wenn Sie uns auf dem Flur ansprechen.

10.: Wenn Sie eine Vollmacht für Opa Günni haben, hilft es ungemein, wenn Sie erreichbar sind.

11.: Fragen Sie uns doch nicht alle drei Minuten, wann Opa Günni aus dem OP zurückkommt. Wir wissen es nicht. Wir haben keine Standleitung. Wenn wir sagen: gehen Sie noch einen Kaffee trinken, dann glauben Sie uns: es wird noch dauern.

12.: Denken Sie nicht, wir haben uns nicht gekümmert, wenn Opa Günni die Visite zu kurz war. Wir haben schon den Reha-Antrag ausgefüllt, die Tumorkonferenz vorbereitet, dreimal mit den Pathologen wegen der Histologie telefoniert, die Ernährungsberatung und Physiotherapie angeleiert, den Bericht für den Hausarzt geschrieben, an den Schmerzmitteln geschraubt und ein Kontroll-Röntgen angemeldet. Nur halt nicht an Opa Günnis Bett.

13.: Kommen Sie uns doch nicht mit: „Wie waren denn die Blutwerte gestern?“ (es sei denn, Sie sind Kollege, aber dann wissen Sie das alles) Kann sein, dass wir schlecht drauf sind und antworten: „Welche denn?“ Wir kümmern uns. Versprochen. Wenn da komische Laborwerte sind, dann wird dem nachgegangen. Ehrlich.

14.: Wir wollen alle das Gleiche: das Beste für Opa Günni. Lassen Sie uns an einem Strang ziehen, okay?

Mit den allerbesten Grüßen,

der Chirurgenwelpe.

Herr Meier

Heute wieder passiert:

wir hängen im Standby-Modus rum und trinken Kaffee. Ein Anruf für den Oberarzt, von extern.  Er hört eigentlich nur zu, legt dann auf und schaut uns an: „Herr Meier ist tot“.

Gut, könnte man meinen, Menschen sterben, kommt vor. Aber warum wird mein Oberarzt dann angerufen, und warum sind wir dann alle betroffen?

Weil der Herr Meier 93 Tage bei uns lag. Diverse Operationen überstanden hat. Intubiert und beatmet war. Dann tracheotomiert wurde. Mehrfach durch neueste Antibiosen gemeine septische Einschwemmungen überlebt hat. Vielleicht hat er sogar eine neue Herzklappe bekommen, weil seine alte von Endokarditis zerfressen wurde. Herr Meier wurde wochenlang nicht wach, dann drückte er plötzlich auf Aufforderung die Hand. Konnte nach langer Blutwäsche von der CVVH entwöhnt werden. Hat am Ende wieder selber geatmet.

Seine Frau hat uns immer wieder Kuchen mitgebracht. An seinem Geburtstag hingen bunte Luftballons vor seiner Box. Bilder von ihm und seinen Kindern hingen an den Wänden.

Herr Meier ist vor zwei Tagen spontanatmend in die Reha gefahren worden. Hat noch breit gegrinst und uns zum Abschied zugewunken von seinem Tragestühlchen.

Und heute morgen lag er tot in seinem Bett.

Argh.

Wofür machen wir den ganzen Scheiß eigentlich, frag ich mich manchmal.