Weihnachtsferien

Weihnachten. Da fahren sie alle nach Hause. Sogar der ultracoole, abgeklärte, nie nervöse Notarzt-Oberarzt kriegt Rehaugen und fährt zu Mutti aufs Land. Ernsthaft, ich glaube alle, die keine eigene Kernfamilie gegründet haben, fahren in ihr altes Dorf zurück, schlafen auf ihren 90 cm-Matratzen im alten Jugendzimmer und geben sich die Überdosis Familienidylle.

So hat die komplette Familie Chirurgenwelpe es auch gemacht. Ich hatte frei über die Feiertage. Dachte ich. Da wusste ich noch nicht, dass ich Verwandten- und Freundesprechstunde haben würde. Ich hatte quasi 72 Stunden Bereitschaftsdienst.

Es fing ganz harmlos an. Beim Überbringen der Weihnachtspost an die Nachbarn musste ich kurz ein paar Unklarheiten aus einem Arztbrief übersetzen. Kein Problem. Dauert ja nur 5 Minuten. Und dann aber die Krankengeschichte mir auch nochmal ausführlich anhören. Zurück bis hin zur Appendektomie Ende der fünfziger Jahre. Gut. Wurde dann wohl eine halbe Stunde. Naja. Abends, beim Verwandtenessen, war der Blutdruck von Tantchen, seine Ursachen und mögliche Therapieoptionen (T:“vielleicht doch Globuli?“ CW:“WAAAH!“) so lange Thema, bis ich nur noch halb scherzhaft die Praxisgebühr eintreiben wollte. Nur ganz kurz haben wir dann noch Ommas rezidivierende Harnwegsinfekte beim Nachtisch besprochen. Wirklich nur kurz.

Nagut. Es nähert sich nun der Heiligabend, die Familie Chirurgenwelpe ist sehr besinnlich aus der Dorfkirche zurückgekehrt und hat sich weniger besinnlich schon das ein oder andere Weinchen eingebaut. Die Bescherung naht. Es ist ungefähr halb acht. Das Telefon klingelt. Ich gehe ran. „Ah, schön das du da bist… habt ihr schon Bescherung?“ Eine Freundin meiner Mutter. Es entspannt sich der folgende Dialog:

Chirurgenwelpe: „Ah, hi, schön dich zu hören, nee, gleich erst, frohe Weihnachten.“
Mutterfreundin „Jaja dir auch“

CW: „Soll ich dir die Mama geben?“

MF: „Nee, warte ich geb dir mal meine Tochter, die Karla“ (gut dass sie den Namen dazugesagt hat, hätte ich nämlich spontan nicht mehr parat gehabt).

K: „Hallooo…“

CW: (skeptisch) „Hallo?“

K: „Ja du, ich wollte nur kurz wissen, ich hab ja diese Gallensteine, und jetzt mit dem fettigen Essen über die Feiertage, blablablablablablabla“

CW: „…“

Tja. Ein Viertelstündchen haben wir dann über Ernährung und Pros und Kontras der Cholezystektomie diskutiert. Dann war Bescherung.

Am 25. und 26. 12. rottet sich ja traditionell vieles an Bekannt- und Verwandtschaft zusammen.

„Äh, ich bin in der 20. Woche schwanger, soll ich mich gegen Vogelgrippe impfen lassen?“  – „KEINE AHNUNG!“

„Äh, ich hab da grad kein Rezept da, könntest Du evtl. kurz in der Apotheke vorbeifahren und mir die Pille besorgen?“ – „äh… na KLAR“

„Äh, der Schwippschwager von meinem Hund hat sich den Arm gebrochen, kannst Du mal kurz über die Röntgenbilder schauen…?“ „….“

Nächstes Jahr wünsche ich mir den Heiligabend-24-Stünder in der Klinik, da hab ich wenigstens meine Ruhe…

 

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Disclaimer: In Wirklichkeit freue ich mich natürlich darüber, dass ich ein friedliches Weihnachtsfest im Kreise meiner Liebsten verbringen durfte, bin dankbar für meine heile und gesunde Familie und wünsche mir noch viele solche und ähnliche Feste. Das macht sich nur vom Spannungsbogen her nicht so gut… wisst ihr ja.

Ich hoffe ihr hattet es auch alle schön.

52 Gedanken zu „Weihnachtsferien

  1. Hi Chirurgenwelpe,

    hab‘ mich direkt gefreut, als ich Deinen Post in der Blogroll sah. Ein frohes Neues Jahr auch!

    Deine Verwandten fragen Dich bestimmt gerne, weil Du einen Vertrauensbonus bei ihnen hast. ‚Wenn unsere Chirurgenwelpin das sagt, dann MUSS das stimmen und ich KANN es einfach glauben und muss mich nicht fragen, ob andere Interessen hinter der Antwort stecken könnten. Halleluja, habe ich ein Glück.‘

    Jedenfalls ging es mir früher (ganz viel früher) so, bis ich dann gemerkt habe, dass die Medizinerbekannten mit so einer Tür-und-Angel-Diagnose ohne Vorgeschichte überfordert waren und eigentlich nur solche Antworten gaben, die keinen Schaden anrichten konnten und keine konkreten Ratschläge enthielten (außer dieses oder jenes mal vom Arzt untersuchen zu lassen).

    Schön, dass Du eine Familie hast, zu der Du gerne gehst.

    Alles Liebe

    Yaspiz

  2. Oh wie ätzend ist das denn! Vor allem, wenn man sich mal ganz gepflegt ein Weinchen tun will… Du brauchst so ein Schild wie Snoopy, „the doctor is out“ 😉

    Happy new year!

  3. Diese Begegnungen begannen bei mir bereits im 3.semester, stehe an der kloschüssel, fragt mich der Typ neben mir, ob ich mir mal das Ekzem da am Arm, usw.
    Horror. Da lass ich mich lieber über das ADHS des Nachbarkindes aus

  4. Solche Familiendienste kennt wohl jeder – nur manche Berufe sind gefragter als andere. 😉

    Schön, dass du trotzdem noch den Draht zu deiner Familie hältst und angenehme Feiertage hattest. 🙂

  5. Versicherungsfachangestellte sind aber auch gefährlich, weil die ja die eigene Familie besser beraten/abschätzen können. 😉

    Du bist doch Elektriker,Tischler, Maler, Mechaniker, Bürokaufmann,
    Du kennst dich doch aus mit Computern
    ich habe da mal eine Frage/ Anliegen.
    Du arbeitest doch bei XY, die machen doch auch Mixer, warum kennst du dich nicht damit aus?

    Also irgendwas werden, was kein Privatmensch je brauchen wird und auch keine Ahnung hat was man dafür können muss.

        • Respekt?
          vor Statistikenschieber (m/w)?
          na ja, es gibt sie halt und sie wurden von unseren Steuergeldern ausgebildet, aber sie deshalb „heilig sprechen“??

      • Also, ich als Japanischstudentin kann mich nicht über dieses Problem beklagen :). Ich denke, Geisteswissenschaften gehen generell gut. Dafür kommt: „Was macht man dann damit?“ resp. „Ich hab mal gehört, im Japanischen gibt es…. die Sprache hat doch [hier beliebiges Halbwissen einfügen].“ (Antwort: Jaa, äh, so ähnlich, das lässt sich jetzt nicht erklären, ohne erstmal ein paar Stunden lang die grammatischen Grundlagen zu klären….)
        Aber davor hab ich Bio studiert, da kam dann auch immer „Was ist das für ein Tier/Pflanze/Pilz? Kann man das Essen?? Du studierst das doch, du musst das wissen!!“

    • Zu kompliziert. Da will jeder wissen was Du GENAU machst.
      Ich bin Fachverkäufer für Feinchemikalien. (Apotheker)
      Du bist dann Fachberater für Feinchemikalien. (Arzt)
      Fasel dazu irgendwas von Unit-Dose-Verpackung von Furosemid und es herrscht Ruhe an der Fragenfront. 🙂

  6. Frag doch das nächste Mal einfach nach der Versichertenkarte … ohne die kannst du leider keine Fragen mehr beantworten 😉
    Ich kenn das .. eigentlich macht das ja auch nichts aus, aber irgendwann möchte man halt doch mal Feierabend haben .. und nicht über die Abführprobleme der Nachbarn diskutieren. (Das sind Details aus deren Leben, die ich NIE wissen wollte!)

    Frohes neues Jahr dir (noch) … und ich drück die Daumen für’s nächste Weihnachtsfest 😉

  7. Es ist doch überall das gleiche – ich habe lange im Ausland gelebt und spreche (neben meiner Muttersprache) noch drei weitere Sprachen, zwei davon wie Muttersprache. „Du, Du kannst doch so gut *Sprache einsetzen* – kannst Du mir mal eben die 20 Seiten bis morgen übersetzen?“ Ich Depp habe das bis vor kurzem auch noch gemacht und mich regelmässig über mich selber geärgert. Und für dieses Jahr habe ich beschlossen, dass das Leben zu kurz ist, um den Scheiss der anderen zu übersetzen, die nur zu geizig sind, es von wirklichen Übersetzern machen zu lassen. Und deshalb sage ich knallhart nein. 🙂 Hat schon zu ziemlich viel Unverständnis geführt, ist mir aber bumms.

  8. Liebe Chirurgenwelpin.

    Wie geht’s dir ? Hoffentlich gut.

    Nicht, dass du womöglich auf der anderen Seite des Tuches im OP Saal bist, sprich auf dem Tisch liegst. *besorgt dreinschau*

    VhG

    Andrea

  9. Vielleicht helfen Dir Tipps von einem Chirurgen weiter. Interssante Fälle aus der Notaufnahme könnt ihr hier lesen: notfallambulanz.blogspot.com
    Schaut einmal vorbei!

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